Die Sonne ging so langsam auf. Die warmen Strahlen füllten das Hotelzimmer aus. Meine Begleitung saß zusammengesackt auf einem Sessel in der Mitte des Raums. Auf das Bett hinter ihm hatte ich ihn gestern Nacht verfrachtet und bis eben den Rausch ausschlafen lassen.
Ich stützte mich auf die Lehne eines ihm gegenüber stehenden Sessels ab. Hinter mir an der Wand war ein Spiegel. Zu meiner linken eine Fensterfront und zu meiner rechten lag das Bad, sowie ein Flur, der parallel zum Bett verlief.
Zuerst zuckte sein Mundwinkel, dann die Hände und schließlich fuhr sein Kopf hoch. Angst und Schrecken füllten seine Augen, als er mich erkannte.
"Nun, Ihre Angst ist nicht unberechtigt, doch bitte vergewissern Sie sich, dass es Ihnen soweit gut geht. Sie dürften weder einen Kater noch sonstige körperliche Beschwerden, abseits des üblichen Frühstückshungers verspüren."
"..."
"Ich werde mich setzen."
Zwischen uns stand ein buchenhölzerner Tisch in elliptischer Form. Für meinen Gast stand darauf ein Glas Wasser. Mit überschlagenen Beinen, gab ich mich zu erkennen.
"Wer blind ist für den Fortschritt der Menschen, wird stets gegen den Abgrund ankämpfen."
"Darum öffne alsbald deine Augen oder die Flammen werden dich rauben", erwiderte er mit Überraschung. "Sie ... Sie sind der blaue Teufel?!"
Ich widersprach seiner Erkenntnis nicht, womit ich sie genaugenommen auch nicht bestätigte, aber er hatte ins Schwarze getroffen. In den Gerüchten, die sich in imperialen Städten erzählt werden, ist von einem blauen Teufel die Rede, der im Imperium umherzieht, raubt und mordet. Der letzte Teil ist weitaus dramatischer, als er der Realität entspricht. Mundpropaganda ist leider ein Selbstläufer. Die fängt man nicht mal ebenso ein.
"Sie haben es auf meine Forschung abgesehen."
"Das ist korr ..."
"Das war eine Feststellung." unterbrach er mich. "Sie wissen aber, dass ich meine Ergebnisse nicht mit einem gesuchten Verbrecher teilen werde. A-Also ... nehmen Sie mir einfach das Leben. Ich werde nichts ausspucken!"
"Immer mit der Ruhe, mein geschätzter Herr Robert Hitzinger." Ich hob beschwichtigend die Hände. "Zuerst möchte ich mich vorstellen, mein Name ist Richard Thal. Ich bin kein Händler. Ich bin ein Korrektor."
Ich gab der Aussage einen Moment, um sich zu setzen.
"Es steht Ihnen frei, jederzeit diesen Raum zu verlassen. Dann werden Sie vergessen, dass es mich je gegeben hat. Andererseits würde ich Sie bitten, zumindest eine Sache sich noch anzuhören."
Er hielt inne.
"Wenn Sie erlauben?"
"Sie kennen meinen Namen. Sie sind bestens über mich informiert. Ihre Anwesenheit in der Bar war kein Zufall." sprudelte es aus ihm heraus. "Wie mir scheint, haben Sie nichts dem Zufall überlassen."
Schön wärs.
"Schießen Sie schon los, Herr Thal."
"Ich bin noch nicht lange Korrektor. Erst einige Jahre. Ich werde Ihnen meinen Geburtsnamen verraten. <Dieser Eintrag ist unter Verschluss. Zugriffslevel zu niedrig.>"
Wenn bei der Offenbarung, dass ich der blaue Teufel und ein Korrektor bin, Angst und Schrecken in sein Gesicht geschrieben war, dann sackte er jetzt in Fassungslosigkeit in sich zusammen.
"Mein Name wurde aus der Geschichte getilgt. Doch Sie kennen meine Arbeit, Robert Hitzinger. Um ehrlich zu sein, braucht die technokratische Republik Sarkorska Ihren Sachverstand. Ich will nicht um den heißen Brei herum reden. Wenn es Ihnen tatsächlich gelungen ist, und das legen Ihre Ergebnisse nahe, aus minderwertigen Seelenkristallen hochwertige Kristalle zu erschaffen, so darf ich von einem revolutionären Durchbruch sprechen."
"Können Sie mich tatsächlich beschützen?", fragte Robert direkt, über die Komplimente hinweg gehend.
"Ich werde mein Leben für Sie einsetzen, wenn Sie zu Sarkorska überlaufen wollen", antwortete ich ohne zu Zögern und in fester Überzeugung. "In Sarkorska wird es Ihnen als Forscher an nichts mangeln, dafür wird der Hohe Rat Sorge tragen. Wenn Sie es wünschen, wird das Korrektorat für Ihren persönlichen Schutz zusätzliche Maßnahmen ergreifen."
Ich faltete meine Hände ineinander. Nach imperialen Gesetzen war er bereits seit über zehn Stunden ein Hochverräter. Schutz ist das Mindeste, was ich ihm zu bieten hatte.
"Ich werde Sie begleiten", entschied er. Ich hatte eine schnelle Entscheidung erwartet, aber Robert Hitzinger fiel, was das angeht, ohnehin aus dem Muster. "Aber bitte erzählen Sie mir vorher noch eins. Ihre Familie war Gründungsmitglied der imperialen Akademie. Sie selbst waren ein Genie auf Ihrem Forschungsgebiet. Warum? Warum sind SIE übergelaufen?"
Mein Blick verfinsterte sich. Das Glas Wasser vor ihm auf dem Tisch begann zu gefrieren, als die Raumtemperatur um mich herum rapide zu sinken begann.
"Sie wagten es, meine Forschung zu missbrauchen. Forschung, die die Menschheit voranbringen sollte. Stattdessen brachte mein gesammeltes Wisse nahezu unendliches Leid hervor."
"Richard!", rief ein stämmiger Mann zu mir aus. In seinem Schatten stand ein schlaksiger Mann. Beide hatten bis eben draußen vor der Tür gewartet.
"Oh, entschuldige", meinte ich. "Ich wollte meine Kräfte nicht zur Schau stellen. Das Thema, es ist nun ..." Warum bin ich jetzt nochmal peinlich berührt?!
"Ein wunder Punkt, ich verstehe", beendete Robert meinen Satz für mich. Mit Neugier schnippte er gegen die Eisdecke, die sich auf seinem Glas gebildet hat. Sie löste sich vom Glasrand und schwappte leicht hin und her.
"Sie ..."
"Ich habe keine Angst vor Ihren Seelenflammen", unterbrach er mich wieder. "Sie sind Teil meines Forschungsgebiets. Wenn ich vor ihnen wegrennen würde, könnte ich auch gleich Tänzer werden."
Wir beide schmunzelten.
"Wie geht es nun weiter?"